Proberaumsterben

Kurz vor dem neuen Jahr wurde vom Brausehaus-Kollektiv ein offener Brief veröffentlicht, der die prekäre Situation vieler Proberäume darstellt.

Hier der Text:

Alle Jahre wieder… kommt das Proberaumsterben

Offener Brief des Musikkollektivs Brausehaus an die Stadt Potsdam

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Stadtverordnete,

wir haben eine Frage an Sie: Sind im Potsdamer Rathauskeller noch ein paar Proberäume für lokale Bands und Musiker*innen frei? Fenster sind nicht nötig, erhöhte Raumfeuchtigkeit ist auch ok – wir sind Schlimmeres gewohnt. Es wäre auf jeden Fall besser als das, was demnächst auf einige von uns zukommt: Der Hälfte des Musikkollektivs Brausehaus wurde zum 31.12.2017 die Proberäume gekündigt – zusammen mit über 20 weiteren Bands und Musikprojekten.

Das Brausehaus Potsdam ist ein soziokulturelles Kollektiv aus über 50 Musiker*innen, Techniker*innen, Musiklehrer*innen und DJs, die seit fünf Jahren nicht nur in Potsdam sondern auch bundesweit auftreten, Konzerte, Open Airs und Partys organisieren und versuchen, die Kultur dieser Stadt abseits vom Kommerz zu bereichern. Dazu kommt der zum Teil unentgeltliche Musikunterricht für Kinder und Jugendliche, der ebenfalls in unseren Proberäumen stattfindet.

Im September haben die Mieter*innen des Probe- und Kreativraumkomplexes Ahornstraße 28-32 Kündigungen zum 31.12.2017 erhalten, darunter die Hälfte unseres Kollektivs. Die meisten davon haben keine Ausweichmöglichkeit, da Proberäume in Potsdam mittlerweile genauso schwer zu finden sind, wie bezahlbare Wohnungen. „Freundlicherweise“ wurde einigen Mieter*innen der Ahornstraße vier Wochen vor dem Rausschmiss eine Vertragsverlängerung angeboten – mit einer Mietsteigerung von rund 80 Prozent, ohne konkrete Begründung für die Erhöhung.

Das ist nichts Neues in Potsdam: Ein Teil der Musiker*innen, die heute in der Ahornstraße proben, flogen bereits Mitte 2014 aus der ehemaligen Brauerei am Brauhausberg (dort befinden sich heute hochpreisige Eigentumswohnungen), über hundert Kreative verloren damals ihre Heimat. Ein Teil der damaligen Mieter*innen fand später Zuflucht im Rechenzentrum, das in spätestens fünf Jahren abgerissen werden soll, um dem Nachbau einer Militärkirche zu weichen.

Ein Prozess, der inzwischen regelmäßig in Potsdam zu beobachten ist: Unabhängige Kreative werden von Provisorium zu Provisorium verschoben, in die Peripherie verdrängt und müssen Platz machen für fragwürdige Prestigeprojekte und Profitinteressen. Wir sehen dies auch als ein Ergebnis von Gentrifizierung und einer verfehlten Stadtpolitik, die sich eher nach den Wünschen von Privatinvestor*innen richtet, als nach den Bedürfnissen der Menschen, die in dieser Stadt leben.

All das kotzt uns an. Selbst halbwegs etablierte Bands und Musiker*innen in Potsdam müssen sich mittlerweile fragen, ob sie sich ihre Kreativität noch leisten können – wie schwierig ist es erst für junge Musiker*innen, die noch ganz am Anfang stehen? Wer eine lebendige Stadt möchte, in der sich Kultur nicht nur auf Klassik, Theater und barocke Fassaden beschränkt, der muss auch jungen Menschen ermöglichen, diese Kultur mit ihren Ideen und Impulsen zu bereichern.

Daher fordern wir als Brausehaus von den Verantwortlichen in Potsdam, sich für langfristig gesicherte Proberäume an zentralen Stellen der Stadt einzusetzen, in ausreichender Menge und zu fairen Konditionen – nicht nur in unserem ureigenen Interesse, sondern auch aus Solidarität mit allen Kreativen, die endlich einen festen Raum in dieser Stadt haben wollen – buchstäblich.

Es grüßt,
das Brausehaus

 

Quelle: https://www.brausehaus.net/Proberaumsterben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert